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Grundlagenentscheidung zum Widerruf von Realkrediten durch Verbraucher

13.10.2016, News

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15 grundlegende Aussagen zu den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen des Widerrufs von grundpfandrechtlich gesicherten Verbraucherdarlehen getroffen. Die Entscheidungsgründe liegen seit einigen Tagen in Schriftform vor.

1. Die im konkreten Fall verwandte Widerrufsbelehrung entsprach nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht den gesetzlichen Vorgaben.

In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof drei Argumente geprüft:

Die Angabe einer Postfachanschrift des Widerrufsadressaten sei nicht zu beanstanden. Auf diesen Punkt kann ein Angriff gegen die Widerrufsbelehrung also nicht gestützt werden. 

Die Formulierung, die Widerrufsfrist beginne frühestens mit der Erhalt der Widerrufsbelehrung, sei nicht ordnungsgemäß. Sie informiere nicht deutlich genug über den Fristbeginn. Dies ist mittlerweile feste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Des Weiteren hatte die beklagte Sparkasse eine Fußnote mit dem Text "Bitte Frist im Einzelfall prüfen" eingefügt. Auch dies hält der Bundesgerichtshof für unzulässig. Es entstehe der Eindruck, es sei Aufgabe des Verbrauchers, die in seinem Fall geltende Frist selbst festzustellen.

2. Entspricht die Widerrufsbelehrung im Ergebnis nicht den gesetzlichen Vorgaben, lautet die entscheidende Frage, ob sich das Kreditinstitut auf die Gesetzlichkeitsfiktion der BGB-InfoV berufen kann, weil es das dort abgedruckte Muster übernommen hat. Der Bundesgerichtshof trifft dazu Aussagen, die über den konkreten Fall hinaus von wesentlicher Bedeutung sind.

Bislang forderten einige Stimmen, dass das Muster gleichsam fotokopiert werden müsse. Jede kleinste Bearbeitung lasse die Gesetzlichkeitsfiktion entfallen. Unter Bezug auf die BGB-InfoV stellt der Bundesgerichtshof nun klar, dass Abweichungen, welche die Deutlichkeit der Belehrung nicht schmälern, unschädlich seien. Dazu zählt er beispielsweise das Einrücken und Zentrieren von Überschriften, den fehlenden Rahmen oder seine individuelle Gestaltung, die Zuordnung der Belehrung zu einem konkreten Vertrag, die Verwendung von Synonymen und die Verwendung der ersten Person Plural statt der dritten Person Singular.

Nicht mehr unschädlich seien dagegen beispielsweise die Übernahme von Gestaltungshinweisen oder sonstigen Bearbeitungshinweisen in den Text oder der Verzicht auf die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift.

Im Ergebnis ist es nicht erforderlich, das Muster gleichsam zu fotokopieren. Entscheidender Maßstab ist, ob das Muster einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzogen wird, die über das nach der BGB-InfoV Erlaubte hinausgeht.

Im konkreten Fall verneint das Gericht eine Übereinstimmung mit dem Muster.

3. Auf eine Kausalität zwischen der fehlerhaften Belehrung und dem unterlassenen Widerruf komme es nicht an. Entscheidend sei nur, ob die missverständliche Belehrung objektiv geeignet sei, den Verbraucher vor einem Widerruf abzuhalten. Dies bejaht das Gericht ohne weiteres.

Folglich stand dem Verbraucher ein sog. "ewiges" Widerrufsrecht zu. Insoweit handele es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers.

4. Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich anschließend mit dem Institut der Verwirkung sowie dem Einwand unzulässiger Rechtsausübung. Beide Aspekte sind bei einem Widerrufsrecht im Grundsatz anwendbar.

a) Das neben dem Zeitmoment für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment sieht der Bundesgerichtshof als nicht erfüllt an. Die fortdauernde Zahlung der Raten reiche dafür nicht aus. Es komme auch nicht darauf an, ob die Belehrung vollständig fehle oder erheblich bzw. nur geringfügig fehlerhaft sei.

b) Eine unzulässige Rechtsausübung liege ebenfalls nicht vor. Ob der Widerruf vom Schutzzweck des Widerrufsrechts erfasst sei, spiele keine Rolle. Das Gesetz habe es dem freien Willen des Verbrauchers überlassen, ohne jede Begründung zu widerrufen. Auch im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen massenhafter Widerrufe betont das Gericht die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers.

5. Auf der Rechtsfolgenseite nimmt der Bundesgerichtshof zur Verzinsung der Darlehensvaluta sowie der geleisteten Zins- und Tilgungsraten Stellung.

a) Zunächst bestätigt der Bundesgerichtshof die Auffassung des Berufungsgerichts, nach einem Widerruf sei die Darlehensvaluta nebst Verzinsung des jeweils tatsächlich noch überlassenen Teils der Valuta vom Verbraucher zu erstatten. Das Berufungsgericht hatte die Verzinsung unter Bezugnahme auf die Bundesbankstatistik mit 5,71% p.a. angenommen. Der vertraglich vereinbarte effektive Zinssatz betrug 6,17% p.a.

Der Bundesgerichtshof billigt dieses Vorgehen des Berufungsgerichts. Nähere Ausführungen dazu finden sich im Urteil des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs nicht. Dies mag damit zusammenhängen, dass dieser Ansatz in der Revision nicht angegriffen worden ist. Etwas überraschend erscheint es dennoch, da der XI. Zivilsenat in seinem Urteil vom 19. Januar 2016 – XI ZR 103/15, wenn auch in anderem Zusammenhang, festgestellt hat, soweit sich der vertraglich vereinbarte Zinssatz im Vergleich zur Statistik innerhalb einer Streubreite von einem Prozentpunkt bewege, sei er "marktüblich". Nach diesen Vorgaben müsste die Darlehensvaluta hier im Rahmen der Rückabwicklung mit dem vertraglich vereinbarten Zinssatz verzinst werden.

b) Begrüßenswert ist die Klarstellung des XI. Zivilsenats, dass die Zins- und Tilgungsraten mit zweieinhalb und nicht mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen seien. Der Bundesgerichtshof sieht diesen Zinssatz als Spiegelbild zu den Verzugszinsen an. Und letztere betragen bei Realkrediten mit Verbrauchern zweieinhalb Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Hier hatte es in der Vergangenheit regelmäßig Irritationen gegeben, da sich viele Verbraucher und einige Gerichte zur Herleitung eines Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. September 2015 – XI ZR 116/15 berufen hatten. Dabei hatten sie allerdings übersehen, dass dieser Beschluss sich gerade nicht auf einen Realkredit bezieht, wie ein Blick in die Ausgangsentscheidung des Landgerichts Hamburg vom 08. Februar 2013 – 323 O 360/11 zeigt. Nicht zuletzt hatte der Bundesgerichtshof schon im Urteil vom 19. September 2006 – XI ZR 242/05 festgestellt, die widerlegliche Vermutung der Nutzungsziehung in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gelte bei Realkrediten nicht.

6. Zusammenfassend führen unschädliche Änderungen von der Musterbelehrung nicht zum Verlust der Gesetzlichkeitsfiktion; es ist nicht erforderlich, das Muster gleichsam zu fotokopieren.

Die Hürden für die Annahme der Verwirkung sowie des Rechtsmissbrauchs sind hoch. Das fortlaufende Bedienen der Raten reicht nicht aus. Hier bleibt abzuwarten, wie der Hinweis des XI. Zivilsenats in seiner Parallelentscheidung vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15 eine Verwirkung sei möglicherweise bei einem beendeten Vertrag anzunehmen, umgesetzt werden wird.

Bei der Berechnung der tatsächlichen Forderungen bei einer Rückabwicklung fehlt noch eine Klarstellung zu Berücksichtigung der Streubreite; für die Praxis begrüßenswert ist die Feststellung, dass die geleisteten Raten mit zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen sind.