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BGH klärt die Voraussetzungen des wirksamen qualifizierten Rangrücktritts in AGB

09.04.2019, News

Zusammenfassung

Mit dem Urteil Az. IX ZR 143/17 v. 6. Dezember 2018 hat der BGH die Voraussetzungen, unter denen ein qualifizierter Rangrücktritt in AGB wirksam vereinbart werden kann, grundsätzlich geklärt. Das Urteil schafft Rechtssicherheit speziell in Bezug auf mezzanine Finanzierungen, einschließlich Genussrechten und Crowdfunding-Strukturen.

Einleitung

Der Begriff "qualifizierter Rangrücktritt" bezeichnet einen Rangrücktritt im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO. Hierbei wird gemäß § 39 Abs. 2 InsO zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO bezeichneten Forderungen vereinbart. Ein solcher Rangrücktritt bewirkt, dass die betreffende Forderung in einer Überschuldungsbilanz des Schuldners nicht zu berücksichtigen ist. Der qualifizierte Rangrücktritt verfolgt somit zwei Zwecke:

Sofern neben der im Rang zurückgetretenen Forderung eine vorrangige Finanzierung (Senior Loan) aufgenommen wird, soll der qualifizierte Rangrücktritt erstens sicherstellen, dass die Senior-Finanzierung auch tatsächlich vorrangig bedient wird, wenn die verfügbaren Mittel nicht ausreichen, um alle Forderungen zu bedienen. Mit anderen Worten soll ein Rangverhältnis zwischen zwei Forderungen begründet werden.

Zweitens und vor allem soll der Darlehensnehmer vor einer Überschuldung aufgrund des nachrangigen Darlehens geschützt werden. Ohne einen qualifizierten Rangrücktritt könnte eine Überschuldung bspw. deshalb eintreten, weil ein Junior-Darlehen unmittelbar nach der Rückzahlung eines Senior-Darlehens fällig wird und absehbar ist, dass (i) das Junior-Darlehen nicht vollständig in einem Betrag zurückgezahlt werden kann und (ii) der Junior-Gläubiger keine Stundung oder Umstrukturierung gewähren wird und somit die Fortführungsprognose negativ ist (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO). Aus der Sicht des Senior-Darlehensgebers ist diese Konstellation schädlich, denn der Darlehensnehmer könnte noch während der Laufzeit des Senior-Darlehens gemäß § 15a InsO verpflichtet sein, Insolvenz anzumelden, obwohl unter der Senior-Finanzierung kein sonstiger Kündigungsgrund eingetreten ist und die Senior-Finanzierung ohne die so ausgelöste Überschuldung voraussichtlich vollständig zurückgezahlt werden könnte. Der qualifizierte Rangrücktritt des Junior-Darlehensgebers schützt somit den Darlehensnehmer und den Senior-Darlehensgeber vor diesem Insolvenzrisiko.

Neben diesen unmittelbaren Schutzzwecken ist der qualifizierte Rangrücktritt noch aus aufsichsrechtlichen Gründen von Bedeutung: Für mezzanine Finanzierungen wie Genussrechte oder Nachrangdarlehen, einschließlich im Rahmen von Crowdfunding-Strukturen, ist der qualifizierte Rangrücktritt im Regelfall unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der Tatbestand seitens des Darlehensnehmers kein erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und § 32 KWG und seitens des Darlehensgebers kein erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und § 32 KWG darstellt. Würde die mezzanine Finanzierung als erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft qualifiziert, könnte die Nichtigkeit die Folge sein (§ 32 KWG i.V.m. §§ 134, 139 BGB; in der Rechtsprechung umstritten). Ferner würden die Abwicklung durch die BaFin (mit entsprechend folgender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO) und eine persönliche Haftung der Geschäftsleiter ggü. den Anlegern drohen.

Problemstellung

Mit dem Urteil vom 5. März 2015 (Az. IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231) hatte der BGH die Anforderungen an wirksamen Rangrücktritt spezifiziert, wobei er teilweise einen Streitstand im Schrifttum klärte und den Rangrücktritt in Teilen dogmatisch neu konstruierte. Insbesondere klärte der BGH die im Schrifttum stark umstrittene Frage des Umfangs des Rangrücktritts vor dem Eintritt der Insolvenz in dem Sinne, dass ein qualifizierter Rangrücktritt laut dem BGH eine sog. vorinsolvenzliche Rückzahlungssperre erfordert. Demnach dürften Zahlungen außerhalb des Insolvenzverfahrens nur aus ungebundenem Vermögen und in der Insolvenz nur im Rang nach den Forderungen sämtlicher normaler Insolvenzgläubiger befriedigt werden. Zudem hat der BGH in einem qualifizierten Rangrücktritt einen Vertrag zugunsten Dritter erkannt, der dazu führt, dass der qualifizierte Rangrücktritt ohne die Beteiligung sämtlicher anderer Gläubiger des Schuldners nicht aufgehoben werden kann, es sei denn, eine Insolvenzreife der Schuldnerin liegt nicht vor und wird durch die Aufhebung nicht ausgelöst. Aus denselben Gründen kann der Rangrücktritt laut dem BGH nicht zeitlich befristet werden.

Aus der Sicht des Rangrücktrittsgläubigers bedeutet dies, dass er an seine Investition gebunden bleibt, bis zeitgleich die Forderung fällig ist und durch die Rückzahlung kein Insolvenzgrund ausgelöst oder vertieft wird. Der nachrangige Gläubiger rückt damit wirtschaftlich in eine Stellung, die unter Gesichtspunkten des Verlustrisikos der eines Gesellschafters ähnelt, ohne allerdings über die Mitwirkungs-, Informations-, Kontroll- oder Stimmrechte eines Gesellschafters zu verfügen. Er steht damit in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht schlechter als ein Gesellschafter und in insolvenzrechtlicher Hinsicht schlechter als ein nicht nachrangiger Gläubiger.

Diese Konstellation hat die Frage aufgeworfen, ob die Stellung des Nachranggläubigers gemäß §§ 305c Abs. 1 und 307 ff. BGB unwirksam sein könnte, wenn der qualifizierte Rangrücktritt (was bei Genussrechtsemissionen oder Crowdfinanzierungen regelmäßig der Fall ist) in AGB vereinbart wird. Verschiedene Gerichte haben die Frage vor und nach dem vorgenannten BGH-Urteil BGHZ 204, 231 bejaht (s. etwa LG Hamburg v. 16.01.2013, 332 O 72/12 = ZIP 2015, 368; OLG München, Urt. v. 25.4.2018 – 13 U 2823/17 = BKR 2018, 518), und die Rechtsfrage stellte sich seit dem Urteil BHZ 204, 231 mit erhöhter Dringlichkeit.

Das Urteil

Mit dem Urteil Az. IX ZR 143/17 v. 6. Dezember 2018 klärte der BGH zunächst grundsätzlich, dass die Bestimmung einer vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre und eines qualifizierten Rangrücktritts eine Abrede über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung des Nachrangdarlehens darstellt und damit gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle entzogen ist. Enthält ein Nachrangdarlehen eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelte vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre (qualifizierten Rangrücktritt), stelle dies nicht schon deshalb eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB dar, weil dies Rückzahlungs- und Zinsansprüche des Darlehensgebers insbesondere bei einem Vermögensverfall des Darlehensnehmers bereits außerhalb eines Insolvenzverfahrens einschränkt (Rz. 28 ff.). Mit anderen Worten hat der BGH damit geklärt, dass ein qualifizierter Rangrücktritt in AGB grundsätzlich wirksam vereinbart werden kann und die Stellung des Nachrangläubigers als solche nicht grundsätzlich der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegt.

Allerdings stellte der BGH in den darauf folgenden Betrachtungen auch klar, dass sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragsgegners dadurch ergeben kann, dass die den qualifizierten Rangrücktritt begründende Vertragsklausel nicht klar und verständlich ist. Durch die Beanstandung der Transparenz der Vertragsklausel des Anlassfalls hat der BGH sodann die Transparenzanforderungen an die Ausgestaltung der Rangrücktrittsklausel spezifiziert (Rz. 34 ff.):

In allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber Verbrauchern ist eine qualifizierte Nachrangvereinbarung laut dem BGH nur dann hinreichend transparent, wenn aus ihr die Rangtiefe, die vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre, deren Dauer und die Erstreckung auf die Zinsen klar und unmissverständlich hervorgehen. Dies erfordere auch, dass die Voraussetzungen der vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre hinreichend deutlich erläutert werden, insbesondere die Klausel klarstellt, inwieweit die Ansprüche aus dem Darlehen bereits dann nicht mehr durchsetzbar sind, wenn die Gesellschaft zum Zeitpunkt des Leistungsverlangens bereits zahlungsunfähig oder überschuldet ist oder dies zu werden droht (Rz. 36).

Ergebnis und Folgen für die Praxis

Das Urteil schafft in Bezug auf in AGB vereinbarte qualifizierte Rangrücktritte Klarheit. Die Klärung ist für Nachrangdarlehen, Genussrechte und Crowdfinanzierung von hoher Bedeutung.

Das Urteil bezieht sich auf gegenüber Verbrauchern verwendete AGB. Angesichts der stark kritikwürdigen Tendenz des BGH, über die Anwendung des § 307 BGB die AGB-Rechtsprechung des Verbraucherbereichs auf den unternehmerischen Rechtsverkehr (B2B) zu erstrecken, ist kautelarjuristisch zu empfehlen, die Vorgaben des Urteils auch bei Rangrücktrittsvereinbarungen mit Unternehmern zu beachten.

Die Vorgaben des Urteils Az. IX ZR 143/17 v. 6. Dezember 2018 sind mit den Vorgaben des Urteils vom 5. März 2015 (Az. IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231) kompatibel. Eine Rangrücktrittsvereinbarung, welche die inhaltlichen Vorgaben des BGHZ 204, 231 korrekt umsetzt, wird im Regelfall auch die Transparenzanforderungen des Urteils Az. IX ZR 143/17 v. 6. Dezember 2018 erfüllen.

Bitte sprechen Sie uns gerne jederzeit in Bezug auf die Ausgestaltung Ihrer Rangrücktrittsvereinbarungen an.