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Kartellrecht zwischen Digitalisierung und Novellierung – die 10. GWB-Novelle

26.11.2019, Germany, Frankfurt

Anlässlich der ECN-Plus-Richtlinie (EU 2019/1) hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Oktober 2019 einen Referentenentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 (GWB-Digitalisierungsgesetz) vorgelegt. Neben der Umsetzung der ECN-Plus-Richtlinie soll die 10. GWB-Novelle genutzt werden, um das Deutsche Kartellrecht an die voranschreitende Digitalisierung (Plattformen wie Facebook, Google und Amazon, aber zum Beispiel auch andere Themen wie Blockchain) anzupassen und agiler zu machen.

Die Änderungen des Kartellrechts

Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, würde man die 10. GWB-Novelle schlicht als digitales Update des GWB sehen. Vielmehr sieht die 10. GWB-Novelle zahlreiche, teilweise auch tiefgreifende Änderungen vor, die erhebliche Auswirkungen auf die Kartellrechtspraxis haben werden.

Anpassung der Missbrauchsaufsicht an Digitale Märkte

Eine deutlich gewichtigere Rolle soll zukünftig die Missbrauchsaufsicht von Plattformunternehmen einnehmen. Hintergrund dieser Änderung ist, dass Vermittler bzw. Intermediäre in der digitalen Wirtschaft eine zunehmende Bedeutung erlangen und erheblichen Einfluss auf vor- oder nachgelagerte Märkte ausüben. Im Extremfall kann es sogar vorkommen, dass ein solches Unternehmen über den Marktzugang von Wettbewerbern entscheidet. Dementsprechend ist geplant, im Rahmen der Liefer- oder Zugangsverweigerung auch andere Verhaltensweisen zu erfassen, die geeignet sind eine Tätigkeit auf dem vor- oder nachgelagerten Markt zu verhindern. So kann beispielsweise das Vorenthalten von Daten künftig als missbräuchliche Behinderung gewertet werden.

Generell soll durch die 10.GWB Novelle der Missbrauch von oder mithilfe von Nutzerdaten in Zukunft unterbunden werden. Was bislang noch im Rahmen der Facebook Entscheidung des Bundeskartellamt als unsicher galt (Entscheidung BKartA 06.02.2019, B6-22/16- „Facebook"; anschließender Beschluss OLG Düsseldorf vom 26.08.2019, VI-Kart 1/19 (V)), wird nun durch die Neuregelung des Gesetzgebers endgültig klargestellt. Damit findet letzten Endes die seit 2018 geltende DSGVO doch noch mittelbare Wirkung im Kartellrecht.

Änderungen des Verwaltungsverfahrens im Kartellrecht

Mit der 10. GWB-Novelle gehen, jedenfalls im derzeitigen Stadium, einige Änderungen des Verwaltungsverfahrens im Kartellrecht, insbesondere im Hinblick auf die Mitwirkung von Kartellanten, einher.

Zunächst wurden die Voraussetzungen, unter denen das Bundeskartellamt einstweilige Maßnahmen ergreifen kann, deutlich gesenkt. Der Gesetzgeber erhofft sich, so die Bedeutung von einstweiligen Maßnahmen in der Anwendungspraxis zu erhöhen und ein zügigeres Eingreifen zu ermöglichen. Nunmehr kann das Bundeskartellamt eine einstweilige Maßnahme anordnen, wenn eine Zuwiderhandlung überwiegend wahrscheinlich erscheint und die Anordnung zum Schutz des Wettbewerbs oder aufgrund einer unmittelbar drohenden, schwerwiegenden Beeinträchtigung eines anderen Unternehmens geboten ist.

Zugleich sieht der Gesetzesentwurf vor, dass das Bundeskartellamt bzw. die zuständige Behörde die schriftliche Anhörung der Kartellanten durch eine mündliche Anhörung ersetzen kann. Hiermit möchte der Gesetzgeber eine Verfahrensbeschleunigung erreichen und den dynamischen (sehr häufig digitalen) Märkten gerecht zu werden. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die mündliche Anhörung sich in der Praxis durchsetzt, zumal die Vorwürfe der Behörde regelmäßig überaus umfangreich sind.
Kritisch zu sehen sein dürfte auch die Neuregelung von Mitwirkungspflichten gegenüber dem Bundeskartellamt. Der Entwurf der 10. GWB-Novelle sieht vor, dass im Rahmen von Kartelluntersuchungen künftig deutliche Mitwirkungspflichten bestehen. Unternehmen, die eines Verstoßes gegen geltendes Kartellrecht bezichtigt werden, sollen nunmehr zur Erteilung von Auskunft und Herausgabe von Unterlagen sowie zur aktiven Mitwirkung bei Durchsuchungen, sogenannten Dawn Raids, verpflichtet sein. Die Verpflichtung erstreckt sich dabei auf alle Informationen und Unterlagen, die dem Unternehmen oder der Unternehmensvereinigung zugänglich sind. Hervorzuheben ist die Verpflichtung zur Offenbarung von Tatsachen, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen, sofern die Informationserlangung auf andere Weise wesentlich erschwert oder nicht zu erwarten ist. Also eine eindeutige Abkehr vom strafrechtlichen Aussageverweigerungsrecht.

Wesentlich weniger eingreifend sind die Neuregelungen zur Akteneinsicht für Beteiligte und sonstige Dritte sowie der gesetzlichen Verankerung des Vorsitzendenschreibens. Nunmehr ist gesetzlich vorgesehen, dass Unternehmen in bestimmten Fällen einen rechtlichen Anspruch auf ein solches Schreiben haben, mit dem die Behörde erklärt, von einer vertieften Prüfung eines bestimmten Verhaltens abzusehen.

Beweiserleichterung beim Kartellschadensersatz

Neben der derzeit schon bestehenden Vermutung, dass ein festgestellter Kartellverstoß auch zu einem Schaden geführt hat (§ 33a Abs. 2 GWB), soll nach der 10. GWB-Novelle auch widerleglich vermutet werden, dass bestimmte Rechtsgeschäfte über Waren- oder Dienstleistungen von einem Kartell erfasst waren. Kartellgeschädigte müssen also nicht mehr beweisen, dass ein bestimmtes Rechtsgeschäft vom Kartell betroffen war; vielmehr gilt diesbezüglich nunmehr ein Anscheinsbeweis. Zu dieser Regelung sah sich der Gesetzgeber veranlasst, weil der Bundesgerichtshof im Schienenkartell-Urteil (12. Dezember 2018, Az.: KZR 26 / 17 – Schienenkartell) klarstellte, dass ein derartiger Anscheinsbeweis derzeit nicht gegeben ist.

Änderungen bei der Fusionskontrolle

Auch bei den Regelungen der Fusionskontrolle setzt der Gesetzgeber den Stift an und sieht Änderungen vor. Um die Behörden zu entlasten ist beabsichtigt, die „kleine" Aufgreifschwelle auf EUR 10 Mio. heraufzusetzen. Bislang mussten Fusionen und Zusammenschlüsse von Unternehmen immer dann beim Kartellamt angemeldet werden, wenn die beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit mehr als EUR 500 Mio. und eines der beteiligten Unternehmen in Deutschland mehr als EUR 25 Mio. und ein weiteres beteiligten Unternehmen in Deutschland mehr als EUR 5 Mio. Umsätze erwirtschaftet haben. Die Schwelle von EUR 5 Mio. soll nunmehr auf EUR 10 Mio. heraufgesetzt werden. Zudem wird die Umsatzberechnung einem einheitlichen internationalen Standard zugeführt.

Ferner räumt der Gesetzesentwurf zur Änderung des Kartellrecht der Behörde mehr Zeit zur Prüfung von Zusammenschlussverfahren ein – nämlich fünf statt bislang vier Monate ab Anmeldung.

Mehr Transparenz im Bußgeldverfahren

Schließlich enthält der Gesetzesentwurf einen nicht abschließenden Katalog von Zumessungskriterien, um die Bemessung von Bußgeldern transparenter zu gestalten. Bislang war es den Behörden möglich, nach freiem Ermessen Bußgelder bis zu 10% des weltweiten Konzernumsatzes zu verhängen. Nunmehr soll dieses Ermessen etwas überprüfbarer gestaltet werden und sich an den neuen Zumessungskriterien orientieren.

Fazit & Ausblick

Die nunmehr zehnte Novellierung des Deutschen Kartellrechts ist also weitaus mehr als eine Anpassung des bestehenden Kartellrechts an die voranschreitende Digitalisierung. Die 10. GWB-Novelle geht vielmehr einher mit zahlreichen Änderungen, die erhebliche Auswirkungen auf die tägliche Praxis von Unternehmen, Behörden, aber auch Rechtsanwälten haben wird. Es bleibt also spannend, ob Berlin diesen Gesetzesentwurf unverändert annehmen und damit die Praxis in Bonn, Frankfurt am Main oder auch Hamburg tiefgreifend verändern wird. Wir halten Sie auf dem Laufenden.