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Kartellrecht: Orientierungshilfe der Europäischen Kommission zu Unternehmenskooperationen in Krisenzeiten

09.04.2020, Germany, Frankfurt

Die Corona-Krise stellt viele Unternehmen vor große wirtschaftliche Herausforderungen. Lieferungen fallen aus, Produkte sind nicht verfügbar, Kurzarbeit wird angeordnet oder die Mitarbeiter ins Home Office geschickt. Vermehrt stellen sich Unternehmen die Frage, inwieweit Kooperationen und abgestimmte Verhaltensweisen mit Wettbewerbern oder anderen Unternehmen erlaubt sind, um die drohenden wirtschaftlichen Verluste möglichst niedrig zu halten. In diesem Zusammenhang hat die Europäische Kommission („Kommission") am 8. April 2020 eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie betroffenen Unternehmen eine Orientierungshilfe bietet. So möchte sie ihren Beitrag leisten, um die Beurteilung der Vereinbarkeit von Unternehmenskooperationen mit EU-Wettbewerbsrecht in Zeiten der Corona-Krise zu erleichtern. Die Mitteilung bezieht sich dabei überwiegend auf diejenigen Kooperationen, die die Versorgung von wesentlichen knappen Produkten und Dienstleistungen sicherstellen sollen. Die Kommission erhofft sich hierdurch Unternehmen zur Zusammenarbeit zu ermutigen, die Auswirkungen der Krise zum letztendlichen Nutzen der Bürger zu überwinden oder zumindest abzuschwächen.

Besonderes Verfahren während Corona-Krise

Grundsätzlich dient die Mitteilung, ebenso wie die anderen Leitlinien, die die Kommission zur Beurteilung der Vereinbarkeit mit EU-Wettbewerbsrecht herausgegeben hat (z.B Gruppenfreistellungsverordnung), der Selbsteinschätzung der betroffenen Unternehmen.

Obwohl es üblicherweise Aufgabe der Unternehmen ist, die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens einzuschätzen, und die Kommission bislang keine Beratung über die Rechtmäßigkeit angeboten hat, will sie Unternehmen nun ein wenig unter die Arme greifen. Sollten Unternehmen Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer geschäftlichen Aktivitäten haben, besteht nun die ausdrückliche Möglichkeit, auf einer gesonderten Webseite sowie über die direkte Kontaktaufnahme mit der Kommission (COMP-COVID-ANTITRUST@ec.europa.eu) Hilfestellung zu erhalten. Im Einzelfall behält es sich die Kommission sogar vor, eine ad-hoc Mitteilung zur Vereinbarkeit von Kooperationsinitiativen mit EU-Wettbewerbsrecht herauszugeben.

Beurteilungskriterien für Zulässigkeit

Die Kommission ist sich darüber im Klaren, dass Kooperationen von Wettbewerbern und Unternehmen dazu beitragen können, dem Mangel an wesentlichen Produkten und Dienstleistungen während der Corona-Krise effizienter zu begegnen. Insbesondere sieht sie die Notwendigkeit, die Versorgung mit Produkten des Gesundheitsbereichs und vor allem mit Produkten, die zur Behandlung von infizierten Patienten benötigt werden, sicherzustellen. Dementsprechend hält sie verschiedenste Maßnahmen für möglich, die die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage schließen können.

Denkbar ist beispielsweise die Steigerung der Produktion wesentlicher Produkte, während die Produktion anderer Produkte zurückgestellt wird. Weiter könnte auch die Umverteilung von Lagerbeständen zwischen Unternehmen erforderlich sein. Dies würde wiederum voraussetzen, dass die Unternehmen Informationen über Verkäufe und Lagerbestände austauschen. Ebenso ist die Umstellung der Produktionslinien von nicht notwendigen bzw. nicht knappen Produkten zugunsten von wesentlichen Produkten wie Atemschutzmasken, Schutzkleidung, oder auch Medikamenten vorstellbar. Darüber hinaus könnten Unternehmen ihre Produktion noch weiter und effizienter steigern, indem sie an einem bestimmten Standort nur noch ein einziges Arzneimittel herstellen.

Ausgehend von den jüngsten Erfahrungen geht die Kommission davon aus, dass die Kooperation im Gesundheitsbereich durch Beauftragung eines Berufsverbands oder eines unabhängigen Beraters zulässig sei. In diesem Zusammenhang sind folgende Maßnahmen als unbedenklich einzustufen:

  • Koordination gemeinsamer Transporte für Einsatzmaterialien;
  • Beitrag zur Identifizierung derjenigen unentbehrlichen Medikamente, bei denen angesichts der prognostizierten Produktion die Gefahr eines Mangels besteht;
  • Produktions- und Kapazitätsinformationen zu aggregieren, ohne Informationen über einzelne Unternehmen auszutauschen;
  • Arbeit an einem Modell zur Vorhersage der Nachfrage auf der Ebene der Mitgliedstaaten und zur Ermittlung von Versorgungslücken;
  • Informationen über aggregierte Angebotslücken austauschen und die teilnehmenden Unternehmen auf individueller Basis und ohne Austausch dieser Informationen mit Wettbewerbern auffordern, anzugeben, ob sie die Angebotslücke zur Befriedigung der Nachfrage füllen können (entweder durch vorhandene Bestände oder durch Produktionssteigerung).

Hinsichtlich der Zusammenarbeit von Unternehmen im Gesundheitsbereich lässt die Kommission noch weitergehende Maßnahmen zu. So kann ausnahmsweise der Austausch von sensiblen Informationen und die Koordination der Produktion notwendig werden und zulässig sein. Dies soll sicherstellen, dass alle Medikamente in ausreichenden Mengen produziert werden können. Voraussetzung für eine solche Ausnahme ist jedoch, dass die Maßnahmen

  • konzipiert und objektiv notwendig sind, um den Output tatsächlich so effizient wie möglich zu steigern, um so einen Versorgungsengpass bei wesentlichen Produkten oder Dienstleistungen, wie z.B. bei der Behandlung von COVID-19-Patienten, zu beheben oder zu vermeiden;
  • von vorübergehender Natur sind (d.h. sie dürfen nur so lange angewendet werden, wie das Risiko eines Versorgungsengpasses besteht oder während des COVID-19-Ausbruchs); und
  • nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels, den Versorgungsengpass zu beheben oder zu vermeiden, unbedingt erforderlich ist.

Die Unternehmen sollten alle Austausche und Vereinbarungen zwischen ihnen dokumentieren und sie der Kommission auf Anfrage zur Verfügung stellen.

Für die Beurteilung, ob eine solche Ausnahme gegeben ist, wird die Kommission sämtliche der Kooperation zugrundeliegenden Umstände berücksichtigen. Insbesondere soll die Beauftragung durch eine staatliche Stelle auf die Rechtmäßigkeit einer solchen Zusammenarbeit hindeuten.

Ausblick

Die Kommission bietet mit der Mitteilung eine erste Hilfestellung zur Beurteilung von Unternehmenskooperationen in Zeiten der Corona-Krise an. Allgemein bleibt die Mitteilung solange in Kraft, bis sie von der Kommission aufgehoben wird. Da die Kommission allerdings noch nicht sämtliche Entwicklungen absehen kann, behält sie es sich vor, die Mitteilung im Laufe der Corona-Krise weiter abzuändern – Unternehmen, die derartige Kooperationen anstreben oder durchführen, sollten also regelmäßig auf Aktualisierungen prüfen.

Sollten Sie hierzu Fragen haben oder allgemein Unterstützung in Angelegenheiten des Kartellrechts benötigen, stehen Ihnen unsere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte an den Standorten Frankfurt am Main, Hamburg und Berlin gerne zur Verfügung.