Schalast | News

Wie die Mutter so die Tochter? – Haftungsausweitung im Kartellschadensersatzverfahren

08.07.2020, Germany, Frankfurt

Die Frage, wer für einen Kartellschaden haften muss, scheint derzeit eines der gefragtesten Themen des Kartellrechts zu sein. So hat diese Frage auch den Europäischen Gerichtshof („EuGH") in der Vergangenheit bereits mehrfach beschäftigt. Zuletzt erging in diesem Zusammenhang im März letzten Jahres eine wegweisende Entscheidung (Az. C-724/17, „Skanska") zur Haftung bei konzerninterner Umstrukturierung.

Trotz zahlreicher Urteile ist die Haftung für Kartellschadensersatz jedoch bei weitem noch nicht abschließend geklärt. So liegen dem EuGH beispielsweise auch aktuell wieder mehrere Vorlagefragen zur Entscheidung vor, mit welchen sich die 15. Kammer der Audiencia Provincial de Barcelona („APB") Klarheit hinsichtlich der Haftung eines Tochterunternehmens für kartellrechtliche Verstöße der Konzernmutter erhofft (Az. C-882/19).

Hintergrund: das „LKW"-Kartell

Ausgangspunkt des Vorlageverfahren war eine Schadensersatzklage der spanischen Sumal S.L. („Sumal") gegen die Mercedes Benz Trucks España S.L. („Mercedes Benz Trucks España"). Grundlage des Schadensersatzanspruchs bildete dabei die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 16. Juli 2016, mit der die Kommission zum einen wettbewerbswidrige Preisabsprachen namhafter LKW-Hersteller feststellte und zum anderen gegen diese Hersteller eine Gesamtgeldbuße in Höhe von EUR 2,93 Mrd. verhängte. Zu den bebußten Kartellanten gehörte damals unter anderem auch die Daimler AG, die zugleich den Mutterkonzern der Mercedes Benz Trucks España bildet.

Im Rahmen des darauffolgenden Schadensersatzprozesses erwies sich allerdings als problematisch, dass Sumal gerade nicht Schadensersatz von der in der Entscheidung der Kommission benannten Daimler AG, sondern deren spanischen Tochtergesellschaft Mercedes Benz Trucks España forderte. Da die Mercedes Benz Trucks España weder selbst in der Entscheidung der Kommission aufgeführt worden war noch auf das Fehlverhalten des Mutterkonzerns bestimmenden Einfluss genommen hatte, wurde der Anspruch zunächst von dem Gericht 1. Instanz abgelehnt. Weil dies aber nach Ansicht des Gerichtes 2. Instanz dem unionsrechtlichen Gedanken der wirtschaftlichen Einheit widersprechen würde, hat das Gericht 2. Instanz die entscheidungserhebliche Frage der Passivlegitimation dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Entscheidungserheblichkeit

Die Entscheidung der Vorlagefragen dürfte grundsätzlich für die Durchsetzung von privaten Ansprüchen von erheblicher Bedeutung sein. Generell wird die private Durchsetzung von Ausgleichs- und Entschädigungsansprüchen als eine der wichtigsten wettbewerbspolitischen Werkzeuge zur Bekämpfung von Kartellrechtsverstößen angesehen. Je leichter die private Durchsetzung von Ansprüchen erfolgen kann, desto effektiver werden Unternehmen letztlich von kartellrechtswidrigem Verhalten abgehalten.

Gerade die Wahl des richtigen Klagegegners ist dabei ein entscheidender Faktor, ob kartellbedingte Schäden im Wege eines Klageverfahrens geltend gemacht werden können oder nicht. So ist es heutzutage nicht unwahrscheinlich, dass auch ausländische Unternehmen/Personen von einem inländischen Kartell beeinträchtigt werden. Wenn dann aber die Geltendmachung der Ansprüche für den Geschädigten mit erheblichem Aufwand und einem erhöhten Prozessrisiko (aufgrund von notwendigen Übersetzungen und einer komplizierten Vollstreckung aus dem Ausland) verbunden ist, scheitert die Geltendmachung und die damit einhergehende Abschreckungswirkung meist schon an dieser (zu) hohen Hürde.

Dementsprechend könnte die ausstehende Entscheidung des EuGH also erheblichen Einfluss auf die private Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen haben. Ebenso dürfte sich die Entscheidung aber auch auf unternehmensinterne Regelungen zur Haftung für Kartellrechtsverstöße auswirken.

Wirtschaftliche Einheit

Letztlich wird es für die Entscheidung des EuGH auf die Auslegung des unionsrechtlichen Gedankens der wirtschaftlichen Einheit ankommen. Diesem zufolge wird bei der Anwendung der kartellrechtlichen Vorschriften des Art. 101 und 102 AEUV lediglich auf die ökonomischen Verhältnisse des Unternehmens und gerade nicht auf dessen Rechtsform bzw. gesellschaftsrechtliche Struktur abgestellt. Dementsprechend werden nach dem Unionsrecht auch mehrere Unternehmen, die einem Konzern angehören, als eine wirtschaftliche Einheit angesehen. Gerade im Hinblick auf eine mögliche Vorteilsabschöpfung scheint diese Auslegung auch angemessen zu sein. Denn so sind es neben dem Mutterkonzern gerade auch die Tochterunternehmen, die von einem kartellbedingten Fehlverhalten der Mutter profitieren.

Aus diesem Grund spricht aktuell bereits einiges für eine Haftung der Tochterunternehmen und damit für eine Auslegung zugunsten der Geschädigten.

Ausblick

Es bleibt insgesamt jedoch abzuwarten, wie sich der EuGH in dem Verfahren C-882/19 letzten Endes entscheiden wird. Fest steht allerdings schon jetzt, dass die Entscheidung wieder einmal die Weichen für die weitere Entwicklung des Kartellschadensersatzrechts stellen wird.

Über den Verlauf des Verfahrens und die Entscheidung des EuGH halten wir Sie gerne auf dem Laufenden. Sollten Sie hierzu oder zu anderen Themen des Kartellrechts noch Fragen haben, können Sie unsere Rechtsanwälte/-innen an den Standorten Frankfurt am Main, Hamburg und Berlin gerne ansprechen.