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EuGH: Nulltarifoptionen von Telekom und Vodafone verstoßen gegen die Netzneutralität

13.09.2021, News

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit den Urteilen vom 2. September 2021 (Az.: C-854/19, C-5/20 und C-34/20) festgestellt: Zero-Rating-Angebote wie „StreamOn“ von Telekom Deutschland oder der Vodafone Pass verstoßen gegen die Netzneutralität.

Der Entscheidung des EuGH waren Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamburg sowie dem Verwaltungsgericht Köln vorangegangen (wir berichteten (https://www.schalast.com/de/aktuelles/news/2017/12/15/fcc-bundesnetzagentur.php). Beide Gerichte hatten den EuGH angerufen und wollten wissen, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, dass ein Anbieter von Internetzugangsdiensten die Bandbreite limitiert bzw. Tethering oder Roaming einschränkt, wenn der Kunde eine sogenannte „Nulltarif-Option“ wählt. Diese Gerichte sind mit Rechtsstreitigkeiten über derartige Beschränkungen zwischen Vodafone bzw. Telekom Deutschland auf der einen sowie der Bundesnetzagentur bzw. dem Bundesverband der Verbraucherzentralen auf der anderen Seite befasst.

Nulltarifoptionen – was ist das?

Bei einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ handelt es sich um eine Geschäftspraxis, mit der ein Anbieter von Internetzugangsdiensten einen „Nulltarif“ oder günstigeren Tarif für den gesamten Datenverkehr in Verbindung mit einer bestimmten Anwendung oder einer bestimmten Kategorie von Anwendungen nutzt, die von den Partnern dieses Zugangsanbieters angeboten werden. Diese Daten werden daher nicht auf die im Rahmen des Basistarifs erworbene Datenmenge angerechnet. Eine solche Option ermöglicht es Internetzugangsanbietern, die Attraktivität ihres Angebots zu erhöhen.

Bei Vodafone gelten die „Vodafone Pass“ genannten „Nulltarif-Optionen“ („Video Pass“, „Music Pass“, „Chat Pass“ und „Social Pass“) nur im Inland, d. h. in Deutschland. Im Ausland wird das für die Nutzung der Dienste von Partnerunternehmen verbrauchte Datenvolumen auf das Inklusivdatenvolumen des Basistarifs angerechnet. Darüber hinaus rechnet Vodafone den Datenverbrauch bei einer Nutzung über Hotspots („Tethering“) auf das im Tarif enthaltene Datenvolumen an.

Telekom Deutschland bietet ihren Endkunden für einige Tarife eine Zubuchfunktion in Form einer „Nulltarif-Option“ namens „StreamOn“ an. Bei Aktivierung dieser Option wird das auf Audio- und Videostreaming von Content-Partnern der Telekom entfallende Datenvolumen nicht auf das Inklusivdatenvolumen des Basistarifs angerechnet, nach dessen Verbrauch die Übertragungsgeschwindigkeit generell reduziert wird. Bei Aktivierung dieser Option willigt der Endkunde allerdings in eine Bandbreitenlimitierung auf maximal 1,7 Mbit/s für Videostreaming ein, unabhängig davon, ob es sich um Videostreaming von Content-Partnern oder sonstigen Anbietern handelt.

Aus kommerziellen Erwägungen

Im Rahmen seiner Urteilsbegründung prüfte der EuGH zunächst, ob die Nulltarife eine Art Verkehrsmanagementmaßnahme darstellten, die nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung 2015/2120 zulässig sein können. Hiernach ist ein Anbieter von Internetzugangsdiensten nicht daran gehindert, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen anzuwenden. Um als angemessen zu gelten, (i) müssen derartige Maßnahmen transparent, nicht diskriminierend und verhältnismäßig sein, (ii) dürfen sie nicht auf kommerziellen Erwägungen beruhen, sondern nur auf objektiven technischen Unterschieden zwischen bestimmten Datenverkehrskategorien und (iii) darf mit ihnen weder der Inhalt überwacht noch dürfen sie länger als erforderlich aufrechterhalten werden.

Nach Ansicht des EuGH nimmt eine Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ jedoch auf der Grundlage kommerzieller Erwägungen eine Unterscheidung innerhalb des Internetverkehrs vor. Dies tut sie, indem der Verkehr zu bestimmten Partneranwendungen nicht auf den Basistarif angerechnet wird. Eine solche Geschäftspraxis erfüllt daher nicht die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung 2015/2120 genannte allgemeine Pflicht, den Verkehr ohne Diskriminierung oder Störung gleich zu behandeln. Die entsprechende Tarifoption ist mithin unzulässig.

Schließlich hat der EuGH entschieden, dass auch die Limitierung der Bandbreite sowie die Einschränkungen von Tethering oder Roaming mit dem Unionsrecht unvereinbar sind. Grund hierfür ist, dass sie nur zur Anwendung kommen, wenn die gegen Unionsrecht verstoßende „Nulltarif-Option“ aktiviert wird.

Ausblick

Nun werden das Oberlandesgericht Hamburg und das Verwaltungsgericht Köln die Ausführungen des EuGH prüfen und entscheiden müssen, inwiefern sie den eigenen Rechtsstreit beeinflussen. Angesichts der Deutlichkeit, mit der der EuGH die Unvereinbarkeit der Produkte in ihrer jetzigen Form mit Unionsrecht festgestellt hat, spricht viel dafür, dass die deutschen Gerichte diese Auffassung teilen und entsprechend urteilen werden.

Der EuGH hat jedoch auch die Voraussetzungen, unter denen Nulltarifprodukte als angemessene „Verkehrsmanagementmaßnahmen“ anzusehen sein können, deutlich dargestellt. Es erscheint zumindest fragwürdig, ob die Produkte in ihrer jetzigen Gestalt so angepasst werden können, dass sie die Voraussetzungen erfüllen werden.

Ob die Angebote nun gänzlich untersagt werden oder ob Telekom und Vodafone ihre Produkte anpassen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Fest steht jedoch, dass der Gegenwind für Nulltarif-Optionen stärker geworden ist.