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Welche Fortschritte will die Ampelkoalition im Arbeitsrecht wagen?

30.11.2021, News

Gestaltung einer modernen Arbeitswelt

Die Mitglieder der zukünftigen Ampelkoalition haben den ausgehandelten Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ vorgestellt. Der Abschnitt IV. ist unter anderem dem Thema „Arbeit“ gewidmet. Die hier gesteckten Ziele wie die Sicherung eines hohen Beschäftigungsniveaus und gerechter Entlohnung, die Ermöglichung einer sicheren Beschäftigungsbiografie und der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit für jeden und jede münden in den Programmsatz: „Wir wollen die moderne Arbeitswelt gestalten, dabei berufliche Chancen ermöglichen sowie Sicherheit und Flexibilität in Einklang bringen.“

Die wichtigsten Vorhaben im Ãœberblick:

Arbeitszeit und Arbeitsort

Die Koalitionsparteien wollen grundsätzlich an den bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes festhalten, insbesondere den Grundsatz des 8-Stunden-Tages bewahren. Im Rahmen einer befristeten Regelung soll aber die Möglichkeit geschaffen werden, im Rahmen von Tarifverträgen und unter im Einzelnen noch zu definierenden Voraussetzungen die Arbeitszeit flexibler zu gestalten. Außerdem sollen so genannte „Experimentierräume“ für Tarifvertragsparteien und Betriebspartner eingerichtet werden, in denen eine Abweichung von der gesetzlichen Tageshöchstarbeitszeit (zehn Stunden) ermöglicht wird.

Der durch die Rechtsprechung des EuGH ausgelöste Anpassungsbedarf, insbesondere wohl bezüglich der Arbeitszeiterfassung, soll geprüft werden. Ziel ist es, flexible Arbeitszeitmodelle einschließlich der Vertrauensarbeitszeit weiterhin zu ermöglichen.

Einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice oder mobile Arbeit soll es nicht geben, wohl aber einen Erörterungsanspruch. Nur bei Entgegenstehen betrieblicher Gründe soll danach der entsprechend geäußerte Wunsch abgelehnt werden können. Für die "gesunde Gestaltung des Homeoffice" sollen sachgerechte und flexible Lösungen gefunden werden. Und: Mobile Arbeit soll EU-weit unproblematisch möglich werden.

Befristungsrecht

Die umfangreiche Reform des Befristungsrechts, wie sie für die letzte Legislaturperiode vorgesehen war, verfolgen die Koalitionsparteien nicht weiter. Insbesondere bleibt die sachgrundlose Befristung unverändert möglich. Allerdings will der Bund als Arbeitgeber mit gutem Beispiel vorangehen und die sachgrundlose Befristung faktisch Schritt für Schritt reduzieren – ein Vorgehen, welches der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz schon als Erster Bürgermeister in Hamburg in ähnlicher Weise verfolgt hat. Die Haushaltsbefristung soll abgeschafft werden, was damit begründet wird, dass der öffentliche Dienst als Arbeitgeber mit gutem Beispiel vorangehen will. Mindestens in gleichem Maße dürfte hierfür aber wohl auch motivbildend sein, dass die Europarechtswidrigkeit der Haushaltsbefristung seit über zehn Jahren diskutiert wird.

Am einschneidendsten dürfte die beabsichtigte Begrenzung der Sachgrundbefristung auf maximal sechs Jahre beim selben Arbeitgeber sein. Ausnahmen sollen hier eng begrenzt werden.

Mindestlohn, Mini- und Midijobs

Der gesetzliche Mindestlohn (nach aktueller Rechtslage ab 1.1.2022: € 9,82) soll in einer einmaligen Anpassung auf € 12,- erhöht und anschließend fortlaufend durch die unabhängige Mindestlohnkommission angepasst werden. Ausdrücklich befürwortet der Koalitionsvertrag den Vorschlag der EU-Kommission für eine europäische Richtlinie über angemessene armutsfeste Mindestlöhne zur Stärkung des Tarifsystems.

Damit aus der Erhöhung des Mindestlohns keine Reduzierung der Arbeitsvolumina folgt, wird die Minijobgrenze auf € 520,- angehoben. Die Grenze für die so genannten Midijobs wird auf € 1.600,- erhöht.

Mitbestimmung

Die betriebliche Mitbestimmung soll weiterentwickelt werden. Insbesondere soll Mitbestimmung digitaler werden können, sofern Betriebsräte dies wünschen. Auch die Online-Betriebsratswahl soll in einem Pilotprojekt erprobt werden.

Das Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb soll ebenfalls auf die digitale Ebene erstreckt werden. Dieses digitale Zugangsrecht soll den „analogen Rechten“ der Gewerkschaften entsprechen. Dass hier in der konkreten Umsetzung, schon allein mit Blick auf die Themenkreise Datenschutz und Datensicherheit, noch erhebliches Konfliktpotenzial steckt, ist offensichtlich.

Die Behinderung der Mitbestimmung durch Arbeitgeber oder deren Vertreter soll zukünftig als Offizialdelikt eingestuft werden. Die beabsichtigte Weiterentwicklung der Mitbestimmung soll nach dem Willen der Koalitionsparteien also auch durch die Staatsanwaltschaften unterstützt werden.

Stärkung der Tarifbindung

 Unter der Ãœberschrift „Tarifautonomie“ verfolgt der Koalitionsvertrag tatsächlich vor allem die Stärkung der Tarifbindung. Die öffentliche Auftragsvergabe soll auf Bundesebene an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrags der jeweiligen Branche gebunden werden. Die so genannte „Tarifflucht“, also die Ausgliederung von Betrieben oder Betriebsteilen mit dem Ziel, nicht mehr dem Anwendungsbereich bestehender Tarifverträge zu unterfallen, soll verhindert werden, ohne dass allerdings § 613a BGB angetastet wird. Durch weitere „Experimentierräume“ soll die Tarifbindung attraktiver werden.

Weiterbildung

Eine Nationale Weiterbildungsstrategie soll die Möglichkeiten der beruflichen Neuorientierung, Aus- und Weiterbildung stärken - auch in Teilzeit. Hierzu soll eine Bildungs(teil)zeit geschaffen werden, die durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustande kommt und finanziell gefördert wird. Als Vorbild hierfür soll die Bildungsteilzeit nach österreichischem Recht dienen. Die dortige Bildungsteilzeit dauert zwischen 4 und 24 Monaten, in denen der Arbeitnehmer seine wöchentliche Regelarbeitszeit um 25-50% kürzt, mindestens aber weiterhin zehn Wochenstunden arbeitet. Mindesten zehn Stunden pro Woche nutzt er für die Aus- und Weiterbindung. Für die Dauer der Bildungsteilzeit zahlt der Staat ein Bildungsteilzeitgeld. Wie eng die zu erwartenden Gestaltungen der Ampelkoalition sich an dem österreichischen Vorbild orientieren werden, bleibt abzuwarten.

Durch ein an das Kurzarbeitergeld angelehntes Qualifizierungsgeld soll es Unternehmen im Strukturwandel ermöglicht werden, Beschäftigte durch Qualifizierung im Unternehmen zu halten. Grundlage hierfür sollen entsprechende Betriebsvereinbarungen sein. Auch das Transferkurzarbeitergeld soll ausgeweitet werden.

Arbeitnehmerüberlassung

Im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung sind keine weitreichenden Änderungen geplant. Wohl aber sollen strukturelle und systematische Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz durch effektivere Rechtsdurchsetzung verhindert werden. Dass Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung grundsätzlich notwendige Instrumente sind, wird ausdrücklich anerkannt.


Fazit

Eine Reihe der nun vereinbarten Vorhaben war nach Lektüre der verschiedenen Wahlprogramme zu erwarten. Große Überraschungen enthält der Koalitionsvertrag an dieser Stelle nicht. Ob die Ideen etwa im Bereich der Arbeitszeitgestaltung oder der Digitalisierung tatsächlich ausreichen, um eine moderne Arbeitswelt zu gestalten, bleibt abzuwarten – ebenso wie die Frage, welche geschilderten Vorhaben überhaupt umgesetzt werden.