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Erneute aufsehenerregende Entscheidung des LG Dortmund im Schienenkartell

14.10.2020, Germany, Frankfurt

Nachdem es in einer Entscheidung vom 8. Juli 2020 (Az.: 8 O 75/19 Kart) eine Haftung von Schwestergesellschaften für Kartellverstöße bejaht und sich in seiner Entscheidung vom 9. September 2020 (Az.: 8 O 42/18 Kart) mit Fragen der Aktivlegitimation auseinandergesetzt hat, kommt nun das nächste aufsehenerregende Urteil des Landgericht Dortmund (Urteil vom 30. September 2020, Az.: 8 O 115/14 Kart) zur Frage der Schadenshöhe bei Kartellschadensersatzverfahren. Und den Weg, den das Landgericht Dortmund hierbei eingeschlagen hat, ist bemerkenswert und durchaus zukunftsweisend.

Verfahrensgegenstand: Kartellschadensersatz wegen Schienenkartell

In dem Verfahren hatte sich das Landgericht Dortmund mit einer Schadensersatzklage einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gegen die Mitglieder des Schienenkartells zu befassen. Neben Fragen zur Kartellbetroffenheit, zur Aktivlegitimation sowie zur Zulässigkeit der Passing-On-Defence hatte sich das Landgericht Dortmund auch mit Fragen zum Kartellschaden selbst zu befassen. Hier hatte das Landgericht Dortmund im Wesentlichen drei Fragen zu klären:

  1. Ist ein Schaden entstanden?
  2. Wie wird der entstandene Schaden berechnet?
  3. Wie hoch ist der entstandene Schaden?

Ist ein Kartellschaden durch das Schienenkartell entstanden?

Der Frage, ob der Klägerin durch das Schienenkartell ein Schaden entstanden ist, widmet sich das Landgericht Dortmund in den Randziffern 85 bis 126 der Entscheidung. Unter Rückgriff auf die Bindungswirkung der Entscheidung des Bundeskartellamts nach § 33 Abs. 4 GWB a.F. und unter Rückgriff auf eine tatsächliche Vermutung stand für das Landgericht Dortmund fest, dass die begangene Rechtsverletzung der Kartellanten zu einem Schaden für die Klägerin geführt hat. Die Einwendungen der Beklagten wurden von dem Landgericht Dortmund einzeln aufgegriffen und bewertet, vermochten die tatsächliche Vermutung nach Ansicht des Landgerichts jedoch nicht umzustoßen.

Wie wird der Kartellschaden berechnet?

Nachdem das Landgericht Dortmund zu dem Ergebnis kam, dass das Schienenkartell bei der Klägerin zu einem Kartellschaden geführt hat, musste es die Frage klären, wie der Kartellschaden zu berechnen ist. Bemerkenswert ist dabei, dass das Landgericht Dortmund im zu entscheidenden Fall den Weg für eine Schätzung des Schadens durch das Gericht nach § 287 ZPO für eröffnet sieht. Hierzu führt es in Randziffer 133 aus:

„Der Tatrichter hat insoweit vielmehr die Option, nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen, ob nach § 287 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestbetrages möglich ist; eine solche Schätzung scheidet erst aus, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre (BGH, U.v. 17.12.2014, VIII ZR 88/13, NJW 2015, 934 ff. mwN; Kühnen, aaO)."

Voraussetzung für eine Schätzung durch das Gericht sei jedoch, dass „die vollständige Aufklärung aller hierfür [die Schadensberechnung, d. Autor] maßgeblichen Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis steht" (Rdnr. 132).

Im Anschluss erläutert das Gericht, welche Methoden zur Berechnung im zu entscheidenden Fall in Betracht kommen – und aus welchen Gründen sie ungeeignet für die Berechnung sind. Im Einzelnen befasst sich das Gericht mit der Vergleichsmarktbetrachtung, dem kostenbasierten Vergleich anhand von Preisbildungsfaktoren, und der marktinternen Vergleichsanalyse. Neben der Ungeeignetheit für den vorliegenden Fall führt das Gericht auch ausdrücklich die mit solchen Berechnungen einhergehenden Kosten für Sachverständige und Gutachter an, die mit in die Entscheidung, ob das Gericht den Schaden schätzen darf, einzufließen hätten.

Wie hoch ist der entstandene Kartellschaden?

Nachdem das Landgericht Dortmund zu dem Ergebnis kam, mangels geeigneter Alternativen den entstandenen Schaden frei schätzen zu können, widmete es sich den konkreten Auswirkungen des Falls. Zur Ermittlung der Schadenshöhe könnten nach Ansicht des Landgericht Dortmund „Art, Inhalt und Umfang der streitbefangenen Kartellabsprache sowie die Einzelheiten ihrer Umsetzung hinreichende Anknüpfungspunkte für die Schätzung des kartellbedingten Preisaufschlags liefern, gepaart mit einer Gesamtschau weiterer Sachverhaltsaspekte" (Rdnr. 143).

Bei der folgenden Beurteilung des Sachverhalts (in den Randziffern 146 bis 155 der Entscheidung) hat sich das Landgericht auch den Einwendungen der Beklagten gewidmet und diese, sofern begründet, entsprechend berücksichtigt. Nach alledem kam es zu dem Schluss, dass ein Mindestschaden in Höhe eines 15 % kartellbedingten Preisaufschlags entstanden sei.

Bei der Bemessung des Wertes hat sich das Landgericht Dortmund nicht nur von den Umständen des konkreten Einzelfalls (insbesondere einer Vereinbarung der Kartellanten, bei Verstoß gegen die Regeln des Kartells eine Vertragsstrafe in Höhe von 15 % zu zahlen) leiten lassen, sondern auch von Studien zur durchschnittlichen Schadenshöhe bei Kartellverstößen. Das Gericht betont in den Randziffern 164f., der Mindestschaden von 15 % sei „leicht unterhalb des Durchschnitts der Mediane bekannter Studien angesiedelt (...) und benachteiligt die Beklagtenseite folglich nicht". Zudem führt es aus, dass „sich der Wert exakt auf dem Median anderer, in Entscheidungen europäischer Gerichte zu findender Kartellaufschläge" befinde.

Fazit & Ausblick

Mit der Entscheidung, eine Schätzung des Kartellschadens durch das Gericht zu ermöglichen, hat das Landgericht Dortmund die Rechte von Klägern erheblich gestärkt. Die wenigen Einschränkungen, die es im Rahmen dieser Entscheidung trifft, werden im Hinblick auf die ausdrückliche Regelung des § 33a Abs. 2 Satz 1 GWB an Bedeutung verlieren. Denn, anders als im vorliegendem, noch nach altem Recht zu beurteilenden Fall, ist nach § 33a Abs. 2 Satz 1 GWB die Bemessung des Kartellschadens nach § 287 ZPO durchzuführen – mithin kann der Schaden also durchaus durch eine freie Schätzung des Gerichts bemessen zu sein.

Dies alles dürfte es Kartellgeschädigten künftig deutlich vereinfachen, ihre Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Unter Umständen ist nicht einmal mehr eine eigene Berechnung des Schadens erforderlich, sofern die vom Landgericht Dortmund aufgezeigten Voraussetzungen erfüllt sind.

Gerne helfen unsere Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen Ihnen bei Fragen zum Thema Kartellschadensersatz oder Kartellrecht weiter. Sprechen Sie uns einfach an.